Samstag



Für die Dauer meines Praktikums zog ich also nach Stuttgart. Selbst die kurze Anreise dorthin war schon aufregend, da ich meine beiden Anzüge, Hemden für zwei Wochen und neun Krawatten so transportieren musste, dass diese während der Fahrt nicht verknittern und heil ankommen. 
Knapp zwei Stunden später kam ich im super heißen Stuttgart an, wo das Wetter immer noch ein bisschen besser ist und die Temperaturen auch noch ein gutes Stück höher sind als hier. Eigentlich fast wie Urlaub. Fast!

Am nächsten Morgen ging es dann endlich los. Meine Arbeitszeiten waren von 10 bis 19 Uhr. Dank ungünstigen S-Bahn Verbindungen und gewisser Nervosität, gepaart mit großer Neugierde, war ich natürlich viel zu früh da. Ich dachte mir „Hey, lieber zu früh als zu spät“, was aber dank morgendlichen 25 Grad plus Anzug ,dann doch nicht all zu angenehm war. Egal. 
Kurz vor Zehn öffneten sich die Türen und ich konnte endlich rein an meinen zukünftigen, klimatisierten Arbeitsplatz. Zunächst „geflasht“ von dem großen, hellen Verkaufsraum mit schicken Ledersesseln, hunderten Stoffmustern die nach Farbe sortiert an den Wänden hingen und Anprobebereichen mit riesigen Spiegeln mit indirekter Beleuchtung, bemerkte ich aber dann schnell die mich musternden Blicke der Angestellten, die natürlich mit einem Blick erkannten, dass mein Anzug „nur“ von der Stange ist.
Trotz meines Anzugs, wurde ich selbstverständlich freundlich empfangen und in die Filiale eingewiesen und es dauerte nicht lang bis die ersten Kunden zur Anprobe, Abholung oder Neubestellung kamen. Überall war ich dabei, überall konnte ich zuschauen, manchmal sogar helfen. Am ersten Tag war meine Hautbeschäftigung: Zuschauen und lernen. Ja, sogar das war spannend, da jeder Kunde eine neue Aufgabe darstellte, die zu bewältigen war und nach nicht einmal drei Stunden machten die neuen Lederschuhe in Form von nervigen Schmerzen auf sich aufmerksam. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich alle Frauen verstehen, die sich über ihre schmerzenden Schuhe beklagten, die ich sonst bisher nur belächelt habe. An dieser Stelle: I am heartly sorry!
Naja, Schuhe hin oder her…Ich war ja nicht zum meckern da und machte mich weiter an die Arbeit. Kaum zu glauben aber der Tag verging trotz eben beschriebener Schmerzen und dem vielen Stehen schnell um, da es immer was zu tun gab.

Der nächste Tag sollte da schon etwas entspannter sein. An die Schuhe hatte ich mich überraschend schnell gewohnt und heute war ich auch so schlau und habe mein kleines Notizbuch mitgenommen, um mir das eine oder andere aufzuschreiben. Schlussendlich habe ich dann über 30 Seiten beschrieben, skizziert oder sonst irgendwie befüllt. Von Kragenformen, über Taschen- & Schlitzpositionen bis hin zu all möglichen Fassonvarianten, kann man nun alles in meinem schwarzen Notebook nachlesen. 

..Note to myself: Benutze niemals deinen fünf Euro teueren Zeichenstift zum Notizen machen! ..

Denn der liegt inzwischen in der Tonne und irgendwann vor Semesterbeginn sollte ich mir noch einen neuen besorgen. (Another note to myself!)

Genauso schnell wie der erste Tag, verging auch der Zweite, Dritte und Vierte. Inzwischen durfte ich auch meiner eigentlichen Lieblingsarbeit (Nope, I am not ironic) nachgehen, dem Nähen. Unter den strengen Augen der Filialleitung musste ich mich erstmal an der Nähmaschine beweisen und einfach „nur“ Kreise nähen. Klingt jetzt zwar einfach und inzwischen lache ich darüber, doch in dem Moment wenn einem Fachkräfte, die seit über 40 Jahren nähen über die Schulter schauen und jeden einzelnen Stich der Nähmaschine im Blick haben, fühlt man sich dann doch etwas unter Druck gesetzt. Trotz Nervosität, inklusive kurzem Schweißausbruch, welcher nicht nur der Aufregung geschuldet war, sondern auch den gefühlten 50 Grad neben dem Dampfbügeleisen, in der nicht klimatisierten Werkstatt, wurden meine Kreise schließlich rund und ich durfte endlich endlich an „echten“  Teilen nähen. So vergingen die Vor- & Nachmittage, an der Nähmaschine und am Bügeleisen und der Stapel der Änderungen wurde immer kleiner. Gab es gerade einmal nichts mehr zu Nähen, sollte ich wieder hoch in den Verkaufsraum und beim Maßnehmen, Beraten oder Abstecken zusehen, mitschreiben und natürlich: Lernen!
Noch viel schneller als die Arbeit verging auch das Wochenende in der Großstadt und ehe mich umsehen konnte war es auch schon Mitte der zweiten und letzten Woche bei Kuhn in Stuttgart.

Inzwischen saß nicht nur mein Anzug von der Stange perfekt wie ein Maßanzug, der freundlicher Weiße von der Filialleitung persönlich ( natürlich mit meiner Hilfe ;) ) geändert wurde, sondern auch Sätze wie „Darf ich Ihnen Wasser oder Kaffee anbieten“ oder „Lassen Sie das ruhig liegen, ich räume das gerne für sie auf“ mit dem dazugehörigen Grinsen, als hätte ich mein Leben lang nichts anderes gemacht. Genau, auch diese Arbeit gehörte ganz klischeemäßig zu meinen Praktikantenaufgaben, was mich allerdings gar nicht störte, da ich mich weder ausgenutzt noch schlecht behandelt gefühlt habe. Im Gegenteil, ich war überrascht dass ich größtenteils wie ein echter KUHN-Mitarbeiter behandelt wurde…Da fehlte nur noch das Namensschild. 

Da ich meinen freien Tag glücklicher Weise auf den Samstag legen durfte, war mein Praktikum ganz bald auch schon wieder zu Ende. Meine anfänglichen Bedenken, unter anderem wegen der Kleiderordnung, hatte ich schnell abgelegt und die Zeit bei KUHN Maßkonfektion ging schnell, nein sogar sehr schnell um. Und deshalb muss nun auch ich diesen scheußlichen Standardsatz sagen:
Ich ging mit einem lachenden und einem weinenden Auge. 
Lachend ganz klar, weil ich nach zwei Wochen endlich meine Sneaker wieder habe, Caps tragen kann und diese Schlinge um meinen Hals los bin (Ich meine hier nur meine Krawatte ;) ).
Weinend, weil mein Praktikum eine tolle Zeit war, in der ich viel gelernt habe, fachlich als auch über mich selbst und auch nette Leute treffen durfte, mit denen ich einige sehr spaßigen Stunden verbringen durfte. Also, danke an alle und für alles.

Genug klischeemäßig Danke gesagt…



Wenn ihr bis jetzt dran geblieben seid und fleißig gelesen habt, dann habt ihr echt meinen vollsten Respekt!!
Ich hoffe euch hat dieser, doch sehr lange Bericht über mein „Experiment, wie ich von tiefsitzenden Jeans zur perfekten Anzugshose kam“ gefallen. Wenn ihr Fragen habt oder euch jetzt denkt „Hey, ich hab auch Bock auf so ein Praktikum“, dann schreibt mir einfach. Ich gebe gerne Informationen und Kontaktdaten weiter oder erzähle euch weitere detaillierte Dinge aus meiner Zeit bei KUHN Maßkonfektion.


All the best..



-Phil





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